Bewertungsportale: Noten aus dem Internet

Bewertungen auf Ärzteportalen haben starken Einfluss auf die Reputation einer Praxis. Ärztinnen und Ärzte sollten dabei immer gelassen bleiben. (ÄRZTEWOCHE/April 2020)

In Zeiten des Social Distancing ersetzt der Webspace die Bassena. Was an der nachbarschaftlichen Wasserstelle einst fünf Nachbarn hörten, wird heute über soziale Medien, Blogs oder Bewertungsportale an tausende „Freunde“ verströmt. Mit der neuen Öffentlichkeit verändern sich die gesellschaftlichen Mechanismen. Heute wird eine Ordination nicht mehr schlechtgeredet, sondern schlecht bewertet.  Die Kritiken in den vielen Arzt- und Gesundheitsportalen werden monatlich millionenfach genutzt – und sind mittlerweile für viele Ordinationen imagebildend. „Die Hausärztin hat mich ins Spital überwiesen und täglich angerufen, um sich nach dem Status zu erkundigen“, lobt ein Patient öffentlich seine Hausärztin auf einem der größten österreichischen Ärzteportale. „Der Doktor war nach meiner Krebsdiagnose sehr bemüht und verständnisvoll, hat mich beruhigt und Mut gemacht“, heißt es an anderer Stelle.
Es geht aber auch anders: „Wenn man …nur selten vorbeikommt, dann wird man oberflächlich abgespeist“, “ „die Sprechstundenhilfe agierte sehr unfreundlich und überheblich“, „ein höflicher Ton sollte der Wartezimmerdame definitiv wichtiger sein als ihr Aussehen “, heißt es wenig schmeichelhaft über andere Ärztinnen und Ärzte.

Keine Wahl

„Bewertungsportale können heute das Image jeder Ordination spürbar beeinflussen“, warnt Verena Flatischler. Die auf Praxismarketing spezialisierte Geschäftsführerin der Agentur med4more hat sich verstärkt mit dem Phänomen der Bewertungsportale befasst. Eine Untersuchung des deutschen Empfehlungsportals Jameda gibt an, dass „77 % der Befragten schon einmal im Internet nach einem Arzt gesucht oder sich über einen Arzt informiert haben. 61 % der Patienten haben schon mal auf einem Arztbewertungsportal recherchiert.“ Selbst wenn die Befragung von Deutschlands größtem Arztbewertungsportal praktisch in eigener Sache durchgeführt wurde: Der Trend ist unbestritten.  „Die Relevanz dieser Ärzteportale ist in den letzten Jahren dramatisch angestiegen“, betont Marketing-Expertin Flatischler. Sie unterstreicht, dass „jeder Arzt und Ärztin auf diesen Webseiten gelistet ist, egal, ob ihnen das recht ist oder nicht.“ Es gebe keine gesetzliche Handhabe, sich aus diesen Portalen austragen zu lassen – auch dann, wenn man sich der öffentlichen Bewertung entziehen möchte. „Jede Ordination steht am Markt“, so Flatischler, „da ist es nur ratsam, die Einträge zu beobachten und etwas für den eigenen Ruf zu tun.“ 

Verena Flatischler, Agentur med4more

Authentische Drittsicht

Die Glaubwürdigkeit der Bewertungen wird unter Usern sehr hoch angesetzt, wie Verena Flatischler betont: „User erkennen, wenn Bewertungen gefakt werden“. Einer der Patienten drückte dies laut Jameda so aus: „Ich lese gerne die Online-Rezensionen. Ich bewerte sie jedoch für mich selbst. Im Grunde erkenne ich schon am Bewerter, wie es zu nehmen ist.“ Flatischler rät den Praxis-Inhabern und Inhaberinnen, „die Bewertungen als das zu nehmen, was sie sind: Feedback vom Kunden.“ Mehrere übereinstimmende Kritikpunkte aus den Portalen seien in jeder Ordination Anlass, den Vorwürfen nachzugehen. „In der Mehrheit geht es um Soft-Facts wie Herzlichkeit am Empfang, Wartezeiten und persönliche Ansprache“, wie die Ärzteberaterin anmerkt. Ein freundliches Wort an der Rezeption, kein Telefonieren während des Patientengespräches, eine kurzes Bedauern wegen der langen Wartezeit. „Es sind meist nur Selbstverständlichkeiten, die die Bewertungen nach oben bringen“, verweist Flatischler auf die Macht des gegenseitigen Respekts. 

Keine herablassenden Reaktionen

Verena Flatischler rät zu einem „entspannten Umgang mit den Portalen“. Wenn nötig, sollten die Ordinationen auf kritische Einträge mit einem versöhnlichen Posting reagieren. Dabei passieren die gröbsten Fehler: Nicht selten lesen sich die Arzt-Reaktionen wie beleidigte Selbstverteidigungs-Sermone – oft gewürzt mit einem Schuss Herablassung. Derartige Antworten richten den größeren Image-Schaden an als die Kritik des Patienten. Viele Nutzer und Arztsuchende stöbern bewusst nach den negativen Bemerkungen und wie damit in der Ordination umgegangen wird. Eine Antwort, die mit einem Bedauern startet und eine kurze Erklärung liefert („…besonders starker Patientenandrang“) sowie mit der Hoffnung endet, den Patienten doch wieder in der Praxis begrüßen zu dürfen, diese Antwort wird mehr Sympathie gewinnen als jede Klagsandrohung. Rechtsanwältin Monika Ploier (siehe Kasten) erzählt von einem Arzt, der nach Kritik den telefonischen Kontakt zur Patientin gesucht hat und den Konflikt glätten konnte. Danach gab es einen erneuten Eintrag de Patientin, die ausdrücklich berichtete, wie „erwachsen“ sie diese Reaktion gefunden hätte.

Um die gute Nachred‘ werben

Der Kampf um die Löschung eines Patientenbeitrages ist nur bei beleidigenden Postings zielführend und sinnvoll. Solange sich ein Patient auf die Beschreibung seiner Eindrücke beschränkt, schützen Portalbetreiber und Gesetz die Meinungsfreiheit (siehe Kasten: „Ihr gutes Recht“). Der Ablauf einer Bewertung verläuft zeitversetzt: Die Postings werden nicht sofort online geschaltet, sondern es wird nachgeforscht, ob es den Sprechstundentermin tatsächlich gegeben hat. Bei kritischen Berichten sind die Plattform-Betreiber mittlerweile verpflichtet, zumindest oberflächlich zu untersuchen. „Sobald wir Kenntnis haben, müssen wir prüfen, da wir sonst rechtlich einstehen müssten“, schreibt DocFinder-Gründer Martin Timmel im Webportal der Tageszeitung „Der Standard“. Aussagen über die Fachkompetenz des Arztes würden gelöscht, da „dem Patienten als Laien die Qualifikation fehle“. Auch positive Erfahrungsberichte werden entfernt, wenn diese unzulässig sind. So sind Selbstbewertungen verboten (sofern sie aufgedeckt werden). Löschungen sind aber nicht die Regel: Bei DocFinder werden laut Timmel lediglich sechs Prozent aller Beiträge entfernt.

Nutzen, nicht streiten

Für Arzt und Ärztin bleibt das Wissen, dass die Bewertungsplattformen sehr leicht zum Vorteil genutzt werden können.  Verena Flatischler zentrale Empfehlung: „Arzt, Ärztin oder Assistentin sollen die Patienten beim Verlassen der Praxis direkt ansprechen. Die Bitte um eine gute Bewertung mobilisiert positive Beiträge. Kritik erntet man immer von selbst.“

Kasten:

Monika Ploier, RA für Medizinrecht

Ihr gutes Recht

Das Internet ist keine rechtsfreie Zone. Für Mediziner gelten die gleichen Rechtsnormen wie im analogen Leben. „Die ärztliche Verschwiegenheitspflicht gilt auch im Cyberspace“, warnt Monika Ploier. Die Rechtsanwältin ist auf Medizinrecht spezialisiert und hat immer wieder mit Streitfällen in Zusammenhang mit Bewertungsportalen zu tun. So musste sie einen Klienten vor seinem Groll retten, der sich ungefiltert in eine Bewertungsreplik geschlichen hatte. „In der Antwort wurden medizinische Fakten des Patienten dargestellt.“ Die harsche Entgegnung wurde gerade noch zurückgezogen. Die standesrechtlichen Konsequenzen hätten gravierend sein können. Ploier unterstreicht aber die Möglichkeit, sich gegen objektiv unwahre Behauptungen zu wehren. Die Spannbreite reiche bis zur Verleumdung und üblen Nachrede, zweier strafrechtlicher Tatbestände sowie der Möglichkeit der Einbringung einer schadenersatzrechtlichen Klage wegen Ruf- und Kreditschädigung.  

Erste Ansprechpartner sollten die Portalbetreiber und nicht die Gerichte sein. Ploier rät ihren ärztlichen Mandanten in erster Linie die Löschung oder Richtigstellung eines Posts anzustreben. Die Klage bzw. deren Androhung erweise sich oft als Boomerang: „Im nächsten Eintrag ist von Mundtotmachen und David gegen Goliath die Rede“. Sie empfiehlt, den Gerichtsweg nur bei schwerwiegenden Anschuldigungen zu beschreiten und zudem auch das Gespräch mit den unzufriedenen Patienten zu suchen.