KI-gestützte Terminsoftware leert die Wartezimmer

Ein junges Wiener Start up will Terminmanagement mit den Werkzeugen der künstlichen Intelligenz revolutionieren. Wartezeiten werden datengestützt minimiert und angemeldete PatientInnen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht erscheinen werden, im Vorfeld identifiziert.

Autor: Josef Ruhaltinger/Ärztewoche

Terminmanagement zählt zu den zentralen Stellschrauben einer erfolgreichen Praxisführung. Image und – dies sei betont – Ertrag einer Arztpraxis werden entscheidend von Wartezeiten und Patientenpräsenz geprägt. Seit Jahrzehnten wird Ordinationssoftware entwickelt, um Terminreservierungen und Wartezeiten in den Griff zu bekommen. Heute wird kein Praxisprogramm installiert, ohne derartige Werkzeuge einzufügen.
Ein junges Wiener Team will die Entwicklungsspirale um etliche Windungen weiterdrehen. Das Start-up Naboto aus Wien Hietzing ist dabei, ein selbstlernendes Terminmanagementsystem für Ordinationen auf den Markt zu bringen. Die jungen Entwickler rund um Lukas Krafft v. Dellmensingen, Samuel Brendler und Sebastian Altenhuber versprechen dabei extreme Flexibilität durch Algorithmen, die sich mit Hilfe Künstlicher Intelligenz (KI) selbst verbessert.  Dier Software optimiert die Terminvergabe , erkennt nicht erscheinende Patienten (No Shows), bevor sie entstehen und besetzt diese automatisch nach. Dabei werden individuelle Wahrscheinlichkeiten und Behandlungsdauer sowie saisonale Schwankungen (z.B. Grippewellen) vorhergesagt und berücksichtigt – und dies alles auf Basis von mathematischen Wahrscheinlichkeiten.

Lernen aus Erfahrung

Die neuartige Terminverwaltung kann Verschiebungen und Ausfälle online und offline gebuchter Termine ebenso berücksichtigen wie Wartezeitenkommunikation mit Terminpatienten übernehmen. Gleichzeitung werden die Zuteilungen zu den diversen Behandlungsräumen einer Ordination vorgenommen und – im Falle von Gruppenpraxen – die zuständigen Ärzte auf Patientenwunsch gebucht. Naboto versichert, dabei von Tag zu Tag präziser zu werden. Lukas Krafft, Geschäftsführer des Wiener Start-ups beschreibt seine Software als „selbstlernendes Werkzeug, das auf der Basis mathematischer Prinzipien Regelmäßigkeiten erkennt und Wahrscheinlichkeiten vorhersagt.“ So vermag die Naboto-Software auf Grund von Parametern wie Alter, Geschlecht, Beruf, Krankengeschichte, Saison und sogar des Wetters vorherzusagen, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Patient einen bestimmten Termin wahrnimmt. Wenn es sich bei dem Datum um einen (ohnehin schlecht wahrgenommenen) Fenstertag handelt, bucht Naboto an diesem Tag mehr Termine als üblich. „Die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einer Überbelegung der Sprechstunden kommt, ist wesentlich geringer als jene, dass die Ordination an diesem Tag zu wenige Patienten hat“, ist sich Lukas Krafft sicher. Krafft betont dabei, dass „sämtliche Daten anonymisiert sind.“ Die Software laufe „komplett isoliert von der Patientenakte“ und habe keinen Zugriff auf die Krankheitsdaten.

Hoher Einsatz

Die Naboto-Entwickler nehmen für sich in Anspruch, ihre Software den Ordinationen ohne großen Aufwand anpassen zu können. Lukas Krafft: „Unser Terminsysteme richtet sich nach den Gegebenheiten. Keine Ordination muss wegen der neuen Software die gewohnte Infrastruktur verändern.“ Naboto passe zu jeder bestehenden Ärztesoftware.  Dabei sind die Anforderungen an eine funktionierende Terminvergabe sehr unterschiedlich: In einer durchschnittlich funktionierenden allgemeinmedizinischen Praxis sind weniger die einbestellten, aber nicht erscheinenden Patienten (No Shows) das Problem. Dort verhindern eher lange Wartezeiten und grumbelnde Kunden erfolgreiches Arbeiten. Zudem haben Allgemeinpraxen deutlich mehr Walk Ins, wie unangemeldete Patienten genannt werden. Anders liegt der Organisationsbedarf bei Fachordinationen wie der Röntgenologie oder Chirurgie. Hier ist weniger das volle Wartezimmer als der nicht erscheinende Patient das Problem. Ein Patient, der seinen Termin sausen lässt, kostet die Fachordination pures Geld.  Ein Wiener Gesundheitszentrum beziffert die Ausfälle durch kneifende Patienten mit bis zu 15.000 Euro pro Monat.

Flexibel ohne Ende

Die Wiener Jungunternehmer legten bei ihrer Entwicklung großen Wert auf flexible Lösungen. So kann vom Ordinationsteam vorgegeben werden, wieviel Wartezeit für PatientInnen zumutbar ist und wie viele Überstunden durch das Team geleistet werden können. Lukas Krafft: „Die individuellen Einstellungen legen fest, ob beispielsweise mehr Fokus auf maximale Auslastung oder auf kurze Wartezeit für Patienten gelegt wird.“ Je nach Ordinationsphilosophie kann auch vorgegeben werden, ob kurze Fristen für Terminpatienten höher priorisiert werden als jene für Walk-ins. Weiters können sich PatientInnen auf einer elektronischen Warteliste eintragen und so bei kurzfristig freiwerdenden Terminen benachrichtigt werden. Die Wartezeit im Wartezimmer wird somit minimiert und Termine sind schneller verfügbar.

Manuelle Einträge sind immer möglich

Gleichermaßen kann im System eine unterschiedliche Dauer der Behandlung definiert werden – je nachdem, welches Anliegen der Patient bei Anmeldung vorbringt. Eine Erfahrung der Corona-Zeit ist zudem der Eintrag von telemedizinischen Behandlungen, die im Naboto-Kalender speziell ausgewiesen werden. Naboto weist den fernmündlichen Behandlungen die entsprechende Zeit zu und bestellt den behandelnden Arzt, den Laptop und den Behandlungsraum. Naboto-Geschäftsführer Krafft unterstreicht, dass „die Ordinationskraft stets manuell in das System eingreifen kann – und das System entsprechend reagiert.“ Wenn ein unangemeldeter Schmerzpatient eingeschoben werden muss, verschieben sich entweder die folgenden Termine oder – bei vorsichtiger Skalierung des Programms – werden die vorgehaltenen Pufferzeiten aufgebraucht.

Wartezeiteninfos für Patienten

Die Kommunikation von Wartezeiten zählt zu den zentralen – und heikelsten – Themen in der Arzt-Patienten-Beziehung. Patienten sammeln Eindrücke über Soft-Facts und weniger über dessen medizinische Kompetenz. Es sind Dinge wie Herzlichkeit des Empfanges, die empathische Ader des Arztes oder der benötigte Zeitaufwand, die den Ruf eines Arztes definieren . Medizinische Belange stellen die meisten Patienten außerhalb ihres Beurteilungskreises. Lukas Krafft: „Terminerinnerungen und Patientenupdates über Verzögerungen waren in unserer Entwicklung sehr wichtig.“ Eigene Erfahrungen in Wartezimmern hätten dies klar gemacht. Angemeldete Patienten erhalten bei Naboto auf Wunsch einige Stunden vor ihrem Termin einen Einladungslink, um sich wie am Flughafen online einzuchecken und so über etwaige Wartezeiten informiert zu werden. Unangemeldete Patienten können bei Bekanntgabe ihrer Mobilnummer oder Emailadresse ebenso über ihre Wartezeit informiert werden, falls sie noch andere Erledigungen durchführen wollen. PatientInnen können so ihre Wartelistenposition und verbleibende Wartezeit online mitverfolgen und erscheinen, wenn sie an der Reihe sind. Nabotos Algorithmen berücksichtigen dabei automatisch die als maximal definierte Wartezeit. So wird z.B. nur dann ein unangemeldeter Patient zur Warteliste hinzugefügt, wenn dadurch die Wartezeit für Terminpatienten nicht über das definierte Maß ansteigt. Die Online-Warteliste wird automatisch deaktiviert bzw. ein Aufnahmestopp empfohlen. Dabei ist Naboto so ausgelegt, dass Patienten nicht in einer SMS-Flut ertrinken. So ist beispielsweise eine Benachrichtigung über 15 Minuten Verspätung zwei Stunden vor dem Termin nicht sinnvoll, 30 Minuten vor dem Termin hat diese Information jedoch für den Patienten Bedeutung. Die Naboto Software übernimmt diese Entscheidungsfindung und das Versenden auf Wunsch automatisiert.

Unkomplizierte Anwendung versprochen

Trotz der Menge an Features schwören die Entwickler, dass ihr System leicht in die Ordinations-IT zu integrieren und auch einfach zu bedienen sei. Lukas Krafft gibt an, den niedergelassenen Arbeitsalltag bei mehr als 100 OrdinationsinhaberInnen recherchiert zu haben. „Unser System übernimmt Standardaufgaben, die bisher eine erfahrene und fähige Praxismitarbeiterin nebenher erledigen musste.“  Jetzt bleibe mehr Zeit für das wesentliche: der persönliche Kontakt zum Patienten.

Zukunft und Kosten
Das Naboto-Team steht kurz vor einer Vereinbarung mit einem der großen Stakeholder im österreichischen Gesundheitssystem, was einen bundesweiten Einsatz der Software erwarten lässt. Lukas Krafft wollte sich dazu auf Anfrage nicht äußern. Die Kosten für Nutzer stehen ebenfalls noch nicht fest. Krafft nennt eine „marktübliche Monatsgebühr“, die in Form eines Abonnements eingehoben werde. Aktuell ist für monatlichen Nutzungsgebühren von digitalen Terminsystemen im Schnitt mit rund 100 Euro zu rechnen. Eine Demo-Version der Software findet sich auf der Unternehmens-Webseite www.naboto.com.