Interview: Als Rainer Seele noch OMV-Chef war

Der Termin brachte keine Sensationen, aber ein rundes Update über die Befindlichkeit von Österreichs größter Staatsbeteiligung OMV. Die Überraschungen kamen erst danach. Auch für Rainer Seele. Lesen Sie den Bericht zum INDUSTRIEMAGAZIN-Artikel im Branchenmagazin ÖSTERREICHS JOURNALIST:IN

Wien – Der 1. April war in Wien der erste Tag des harten Frühjahrs-Lockdown. Wer an dem Tag das mächtige OMV-Headquarter am Rande Wiens betrat, kämpfte mit dem Bauchgefühl, irgendwie falsch zu sein. In der Glaskubatur der Lobby, ansonsten voller wichtiger Anzugträger und drängelnder Zusteller,  war es mucksmäuschenstill. Keine Menschenseele war zu sehen. Meine Assoziationen waren: Es ist  Sonntag, das Gebäude wurde geräumt oder es gibt Filmaufnahmen. Erst ein schepperndes Telefon hat die Rezeption verraten – hinter spiegelnden Glaswänden. Wie sich später herausstellte, waren 80 Prozent des Stammpersonals im OMV-Tower im Home-Office.

Mein Besuch war sehr geschäftlich. Ich hatte für das „Österreichisches Industriemagazin“ einen Interviewtermin mit CEO Rainer Seele vereinbart, wie schon ein paar Mal in den Jahren davor. Der Gesprächstermin war früher zustande gekommen als erwartet – lange vier Wochen vor Erscheinungstermin. Der Anlass für die Interviewanfrage waren Themen wie Borealis, Russland, Umstrukturierung. Eigentlich gibt es für Wirtschaftsjournalisten immer einen Grund, mit dem Chef von Österreichs größtem Energiekonzern zu reden.

Kein Journalist liebt es, wenn zwischen Interview und Erscheinungstermin so viele Wochen liegen. Zuviel kann in der Zwischenzeit passieren. Aber ein Alternativtermin wäre erst nach dem Redaktionsschluss möglich gewesen. Bei den Vorrecherchen zum Interview legte ich ein besonderes Augenmerk auf Gerüchte und in der Luft liegende Ereignisse. Ich wollte unbedingt verhindern, bei der langen „Reifezeit“ der Geschichte von den Ereignissen überholt zu werden. Aber offensichtlich habe ich mit den falschen Personen gesprochen.

Die Gesprächsatmosphäre mit dem OMV-Chef kann man als locker beschreiben. Rainer Seele zeigte sich ambitioniert und hatte den einen oder anderen entspannten Spruch auf Lager. Lästige Fragen zu Russland, Strategiewechsel oder Klimawandel wurden routiniert wegverteidigt. Der Umgang mit Sekretariat und anwesenden Mitarbeitern – für Beobachter stets ein Indikator für die sozialen Fähigkeiten eines Chefs – blieb völlig unauffällig. Von jener Cholerik, die ihm jetzt manche nachsagen wollen, keine Spur. Vor allem: Rainer Seele schien nichtsahnend. Er hatte keinen blassen Schimmer, was auf ihn in den kommenden Wochen zurollte. Ich bin sicher: Hätte er an diesem 1. April nur das geringste vermutet, hätte er das Interview nicht gegeben. Ich verließ das OMV-Gebäude halbwegs zufrieden. Ich hatte keine Sensationen, aber ein rundes Update über die Befindlichkeit von Österreichs größter Staatsbeteiligung.

Und dann ging es: Bamm, bamm, bamm. Vier Tage nach dem Interview kamen erste Meldungen über eine soziale Unverträglichkeit des deutschen OMV-Chefs. Binnen weniger Tage wuchsen die Angriffe zu einem dichten Stakkato an Vorwürfen. Auffallend: Das Szenario glich den Ereignissen von 2015. Gerhard Roiss, der deutlich weniger erfolgreiche Vorgänger Rainer Seeles, wurde ebenfalls ob chronischer Zornesausbrüchen sturmreif geschossen. Da wie dort fand sich niemand namentlich, der mit den Anschuldigungen zitiert worden wäre. Alle Infos kamen aus „Expertenkreisen“ und „Umfeld des Aufsichtsrates“. Nur die NGOs traten hervor und verlangten Aufklärung, ob sie überwacht worden waren oder nicht.

Drei Wochen nach Beginn des Meldungshagels war das Spiel entschieden: Rainer Seele einigte sich mit seinem Aufsichtsratspräsidenten, dass er die im Sommer fällige Option auf eine einjährige Vertragsverlängerung nicht wahrnehmen werde. Die Entscheidung war für ihn mittlerweile alternativlos geworden. Seele hatte den Rückhalt bei wichtigen Spielern im Aufsichtsrat verloren.

Ich bleibe mit einem Interview zurück, das ein bisschen aus der Zeit gefallen scheint. Keine der später aufpoppenden Fragen wird angesprochen. Die Themen kreisen brav rund um das Unternehmen und gesellschaftliche Umfeld. Andererseits besteht gerade darin ein spezieller Reiz: Das Gespräch zeichnet einen Rainer Seele, der sich in seiner Funktion sicher wähnt und seine Bewunderung für Greta Thunberg und Fridays for Future durchaus glaubhaft formuliert. Geholfen hat es ihm nichts.

Zum Interview im „Österreichischen Industriemagazin“

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